19.01.2013 // Tag -11

23::00 – [telefoniere]

21:05 – Werte stabil (niedrig). Es ging mir schon mal besser, aber es durchaus machbar bisher. Nur etwas schwummerig.

19:50 – Noch lebe ich :) Sättigung ist mit 97% im normalen Bereich, nur Puls (70) und BD (98:52) sind für mich sehr niedrig. Mir ist auch etwas schwindelig. So richtig prima geht’s mir definitiv nicht.

19:05 – Die gelbe Suppe kriecht langsam den Schlauch hinauf… wenn ich die nächste Stunde nix schreibe gabs wohl Probleme.

18:53 – So, das gelbe Gift ist wieder am Start. Es tröpfelt gerade _sehr langsam aus dem Beutel. Ich bin mit Puls, Sättigung und Blutdruck an der Überwachungsmaschine gekoppelt, diese gibt die Daten (offenbar zuverlässig, hab‘ spasseshalber mal eine Messsonde kurz abgenommen) an das Schwesternzimmer weiter. Noch hat das Teufelszeug nicht die sieben Meter Leitung überbrückt, man würde das signalgelbe Zeug in den transparenten Schläuchen sehen…

18:30 – Mal was eher Technisches: ich will mir in Zukunft angewöhnen, die wichtigsten Punkte des Tages fett markiert darzustellen. Eine kurze Sichtung der letzten Eintrage ergab, dass diese nicht (wie gedacht) kürzer ausfallen als die ersten. Wer sich also nicht den ganzen Sermon von mir durchlesen will sondern nur an den nackten basics interessiert ist, braucht in Zukunft nur noch den Text auf eben diese fett markierten Stellen zu scannen .

18:17 – Cytarabin ist jetzt ebenfalls am Start. Das Zeug kenne ich ja schon aus Bremen. Wenn ich mich recht entsinne, dann war das Daunorubicin wesentlich stärker für Übelkeit verantwortlich als Cytarabin. Hoffentlich habe ich mich da nicht getäuscht…

18:13 – Örks, das Teufelszeug kommt gleich schon an den Start. Antihistaminikum wurde bereits injiziert, Maschinchen zur Kontrolle der Vitalwerte ist angeschaltet. Angst.

17:52 – Mein Fussi-Ticker meldet mir die Aufstellung Werder gegen Dortmund für heute Abend. Verrückt: das Hinspiel fand im August letzten Jahres statt, ich weilte mit Claudia im Urlaub in Südfrankreich und hatte schlechte Laune, weil wir gut gespielt und dennoch verloren haben.
Das ist alles so weit weg als ob es nicht mehr zu meinem Leben gehören würde.

17:30 – Amsacrin ist durch für heute. Bisher keine besonderen Vorkommnisse.

17:25 – Essen wird gereicht. Merkwürdigerweise wird hier das Brot nicht getoastet, mir wird ohne Probleme Teewurst dargereicht, dafür gibt es weder Gurken, noch Tomaten. Wochenende stets ohne Gemüse? Alles sehr merkwürdig.

16:45 – Ganz vergessen, seit ca. einer Stunde läuft Amsacrin durch die Leitung. Noch ein neues Gift. Keine Ahnung, was mein Körper dazu sagen wird.

16:44 – Soundtrack: Bugge Wesseltoft – Change
16:20 – Schwester K. stellt sich vor und unternimmt die üblichen Messungen. Alles im Rahmen. Fieber unter Kontrolle, CRP-Wert soll gesunken sein (lt. Aussage Dr. A.).

15:20 – Dr. A. betritt zum ersten mal die Bühne. Er erläutert nochmals die Notwendigkeit des Ambisome. Ein Probe der Bronchoskopie wurde hier untersucht (kein Befund) und eine wurde zu einem Speziallabor in Kiel geschickt. Die haben dann den speziellen Pilz ausfindig machen können, der (höchstwahrscheinlich) die Grundlage, auch schon in Bremen, für die Bakterien gelegt hat, die dann zum Ausbruch der Lungenentzündung mit Fieber und erhöhten CRP-Werten führte. Die beiden letzten Sachen hat man in Bremen und auch hier jetzt mit Antibiotika in den Griff bekommen, aber die pilzige Infiltration als ‚Bodensatz‘ sozusagen ist immer noch da – die wollen sie wegbekommen. Es gäbe zwar eine Alternative, nur sei die weniger effektiv und es ist unklar, ob sie unter chemoinduzierten Schleimhäuten überhaupt wirksam ist, da diese Alternative oral appliziert wird. Also irgendwie mit diesem besxxissenen Ambisome versuchen. Kortison, so wie die Ärztin vorher gesagt hat, wäre allerdings nicht sinnvoll da dieses länger als nötig verabreicht werden müsste. Es werden Antihistamine verabreicht um die allergische Reaktion zu minimieren. Ab dem 30.01. ist es dann eh‘ egal, da ich dann ein neues Immunsystem habe und mein altes gelöscht sein wird. Bis dahin ist mir aber recht flau im Magen…

14:53 – Holy shit. Eine Ärztin war soeben da, das Teufelszeug von gestern Abend ist alternativlos! Es ist das einzig wirklich wirksame Mittel gegen eine Pilzart, die sich (durch die Bronchskopie bestätigt) wohl in meiner Lunge befindet. Sie wollen es mit einer Dosis Kortison vorab und stark verdünnter Infusion über längeren Zeitraum unter Beobachtung stehend nochmal versuchen. Ojeh. Ich fühle mich wirklich gerade wie in dem weiter unten schon zitierten Sketch von Monty Python: NOBODY expects the Spanish Inquisition…

14:30 – Habe soeben neues Zimmer bezogen (Nummer natürlich wieder vergessen) und wurde auch sofort an die (in diesem Falle lange) Leine gelegt. Das Zimmer ist fast mit der 632 identisch, nur gespiegelt, und mit etwas anderer Technik versehen. Der Balkon ist verriegelt. No way out. Sehr wenig Stauraum steht hier zur Verfügung, der Schrankbereich ist anders als drüben aufgeteilt. Mal schauen, wo ich die Ordner unterbringe. Momentan lauft nur Glucose und NaCl durch die Sieben-Meter-Zuleitung, aber die nächste Chemo soll gleich erfolgen. Essen (ich habe mal wieder Hühnerfrikassee genommen) habe ich auch schon hinter mich gebracht. Schwester A. weist mich in das Zimmer und weitere Gepflogenheiten ein. Schwester A. ist blond, nett, hat eine schmale Figur und trägt viel zu weite Hosen, die beim Bücken etwas, herrunterrutschen. Schwester A. trägt nette, pink-rosa Unterwäsche. Mehr Löcher als Stoff.

14:00 – Idlen im Besucherraum.

13:00 – Fragestunde mit Schwester A.. Auf dem Gang herumlaufen, wird auf 6B wohl erst mal so nicht möglich sein. Hm. Das könnte zu Kaffeemangel führen. Anders als ihre Kollegin vor ein paar Tagen sieht sie keine Probleme darin, weiterhin (soweit körperlich machbar) Handwäsche durchzuführen. Prima! Damit ist, neben der physischen und psychischen, auch die ästhetische Vernichtung bis auf weiteres verschoben. Die verschiedenen Aussagen zu verschiedenen Themen von verschiedenen Aussagenden sollte ich intensiver nutzen. Divide et impera.

12:45 – Ich frage mich langsam, ob mein neues Zimmer gereinigt oder renoviert wird. Ein Fingertest wird Aufschluss geben, ob die Wandfarbe schon getrocknet ist.

12:30 – Neue Erkenntnisse: die hier verwandten Geräte von Braun sind besser angenehmer zeitgemäßer als die mir aus dem Diako bekannten Fresenius-Gerätschaften. Die funtionierten wohl auch so leidlich, sahen aber aus, als hätten sie noch den Korea-Krieg miterlebt, sprich, unkaputtbar aber dafür Komfortstufe Null. Anders die Braun-Geräte, angenehmere Warngeräusche, Vorwarnungen werden auf dem Display angekündigt, per LED in Orange visualisiert. Schick, schick. Zu Batterien zusammengefasst, wie auf meinem vorherigen Zimmer, hat die Summe der LCDs zudem den Vorteil, dass man sich teilweise die Leseleuchte sparen kann.

12:00 – Da es etwas dauert, bis das neu zu beziehende Zimmer grundgereinigt und desinfiziert ist, entschliessen sich eine mir bislang unbekannte Schwester A. (6B) und das Pummelchen (6A), mir schon hier im Besucherzimmer die erste Fuhre Fludarabin zu verpassen. Das Drama kann also beginnen, die Show ist eröffnet, der Kriegzustand ist ausgerufen, der Countdown läuft, die Spiele mögen starten. Wie nicht selten in großen Auseinandersetzungen beginnt das ganze also eher als kleines Scharmützel, an einem belanglosem Nebenschauplatz wie z.B. diesem Wartezimmer. Dramaturgisch geschickt, man gibt sich hier Mühe, alle Achtung. Etwas belustigend dann der Spruch von Schwester A., dass ich mich melden soll, sobald ich mich etwas unwohl fühlen sollte. Dies würde aber selten oder nie der Fall sein… . Den Spruch habe ich gestern kurz vor dem anaphylaktischen Schock auch gehört.
Nun sitze ich hier am Tisch, einen kleinen Minikleiderständer mit Fludarabin und NaCl neben mir und warte auf ‚Reaktionen‘.

11:53 – Stranger Moment eben gerade. Die Schleuse zur 6B öffnet sich, in Mikroschritten bewegt sich eine glatzköpfige Dame unschätzbaren Alters rollatorgestützt heraus, hält vor der Glasfront des Besucherraumes und schaut mich unvermittelt und ein klein wenig zu lange an. Undeutbarer Blick.Dann tippelt sie, gestützt von Rollator und zwei Humanoiden weiter. Es ist die Dame die mein Zimmer übernehmen wird, bzw. ich ihres.

11:29 – Ich muss 47 Jahre alt werden, eine primär refraktäre, akute myeolische Leukämie ausbilden, um endlich mal wieder Tipp-Kick zu spielen. Einen ‚Ball‘ (eher ein Tetradekaeder [Vierzehn Flächenfelder, musste selbst googeln]) habe ich schon irgendwo hinter der Küchenzeile versenkt. Leider ist kein Grün-Weisser Spieler vorhanden. Ich habe mich für ’schwatz-gelb‘ entschieden, gegen Rot-Weiss. Nach ein Weile entsann ich mich ser alten Fanfreundschaft zwischen Werder und RW Essen, also wieder doch das Rot-Weisse Männeken genommen.

10:45 – Nun sitze ich im Warte-/Aufenthalts-/Besucherraum vor der Station 6B und harre der Dinge. Ich bin offenbar schneller im Packen als meine Mitpatientin aus der Iso, mit der ich das Zimmer tauschen soll. Diese Aufenthaltsräume in Krankenhäusern sehen für mich alle etwas merkwürdig aus. Schränke mit Kinderspielzeug, eine wild zusammenwürfelte, wahrscheinlich aus liegenge- oder überlassenen Exemplaren bestehende Minibliothek, nutzlose Deko in nutzlosen Regalen, die ‚typischen‘ Krankenhausbilder an der Wand (zumeist in Tradition der Impressionisten bis hin zum ‚Neo-Realismus‘ amerikanischer Prägung) Bestuhlung und Betischung, die einen stets an Die Studienzeit oder Fortbildungsseminare erinnern, ein paar obligate Zertifikate, der Tisch mit Informationsmaterial. Dazwischen medizinisches Geräte und Trainingsmaschinen. Ein Ehrfurcht gebietendes, martialisch ausschauendes Monstrum von Massagestuhl, (Einspieler denken: ‚She is made of harder stuff! Cardinal Fang! Fetch…THE COMFY CHAIR!‘) und über, durch und unter, in allem verweilt dieser penetrante Krankenhausgeruch.
In der Minibibliothek findet mein scannender Blick schnell ein Büchlein im Reclam-Format – das könnte etwas für mich sein! Und siehe da: Hans Poser, (was für ein Name) ‚Wissenschaftstheorie, eine philosophische Einführung‘. Volltreffer. Gierig nehme ich das Büchlein an mich als gehörte es schon mir (tausche es gerne gegen den einen oder anderen Regalmeter aus meiner Bibliothek), um dann frustriert festzustellen, dass die Schriftgröße doch arg meine Augen strapazieren dürfte. Aber vielleicht frage ich nach einer Lupe. Ich habe das kleine, gelbe Büchlein erstmal ‚aquiriert‘, wie es mein Großvater ausdrücken würde.

08:44 – Nachts um 3:00 nassgeschwitzt aufgewacht, Klamotten gewechselt, weitergenickt, ansonsten eine ereignislose Nacht. Zum Aufwachen dann die nächste Überraschung, die etwas dickliche Krankenschwester mit dem Kindersprech eröffnet mir, dass es heute schon in die 6B geht. Das heisst, Frühstücken (schon halb erledigt), Antibiose durchlaufen lassen (gestartet, dauert aber noch), Duschen, Packen, anschliessend Warten im Aufenthaltsraum.
Zum Frühstück gibt es nun 5 Tabletten, zu den mir bereits bekannten ist ein Antiememtika gekommen, Chemo startet ja heute. Ebenfalls wieder dabei: Augentropfen und Augensalbe.
Als Servicekraft fungiert heute in diesem Bereich die schlanke grosse Dame mit dem Kopftuch, dass lässt auf ausreichende Kaffeversorgung hoffen, bislang war das jedenfalls so. Gestern früh habe ich ja in der Hektik vergessen, meinen Thrombostrumpf anzuziehen – gestern nacht habe ich dafür dann, wie zum Ausgleich, vergessen ihn auszuziehen.

Keine Kommentare
Kommentar

Ihre E-Mail wird nicht veröffentlicht. Benötigte Felder sind markiert *

*